Die Unerschießbare

Begegnungen mit Burmas Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi

Irgendwo dahinten muss sie sein, in dieser drängenden, stoßenden Menge. Mönche fuchteln mit Schirmen und Sandalen, hilfloser Versuch, eine Gasse zu bilden. Das Fieber steigt, die Hitze der Leiber, die Hitze der Erwartung, Schweißgeruch mischt sich mit Jasminduft - die Blüten im Haar der Frauen. Jeder kämpft, nicht zu Boden gezerrt zu werden in diesem Quetschen und Pressen, tausend Menschen drängen sich in der Seitenstraße von Mandalay - und da ist sie.

Eine zarte Gestalt in goldgelber Bluse. Fäuste fliegen in die Luft und Schreie: „Aung San Suu Kyi!! Gesundheit und langes Leben! Aung San Suu Kyi-i-i-!!" Wie eine Statue wird sie zentimeterweise vorwärts geschoben, gedrückt von zwei Leibwächtern, die Männer triefen von Schweiß. Aung San Suu Kyi lächelt. Sie lächelt gefasst und ein wenig starr, die ganze Person graziös geschnürte Disziplin. Nur die Blässe ihres Gesichts verrät die Anstrengung; sie ist jetzt 57 Jahre alt.

Dreizehn Jahre haben die Menschen in Mandalay darauf gewartet, diese Frau zu sehen. Aung San Suu Kyi hat den größeren Teil der vergangenen 13 Jahre in Hausarrest verbracht, und wenn sie gerade keinen Arrest hatte, verbot die Militärregierung ihr dennoch das Reisen. 13 Jahre lang haben die Leute auch ihr Bild nicht gesehen; in den staatlich kontrollierten Medien ist die Oppositionsführerin ein Tabu. Und nun dieser Empfang: Das ist kein Bad in der Menge, nichts was sich mit Begriffen westlicher Politik, westlicher Popularität beschreiben ließe. Das hier ist Liebe. Eine exstatische, verzweifelte Liebe, eine fast gewalttätige Liebe.

Es sind die letzten Tage des Juni. In Burmas Hauptstadt Yangon geht schon der Monsun-Regen nieder, hier in Mandalay, 700 Kilometer nördlich, lastet noch drückende, trockene Hitze. Vor einigen Wochen haben die regierenden Generäle Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest in Yangon entlassen, sie darf reisen, dies ist ihr erster politischer Trip durch`s Land. Beginnt eine neue Ära in Burma, nach 30 Jahren Militärherrschaft und Unterdrückung? Nichts ist gewiss, alles ist in der Schwebe, es herrscht Vorsicht, Angst und zaghafte Hoffnung.

Aung San Suu Kyi kommt ohne öffentliche Vorankündigung. Nur der allerengste, verschwiegene Kreis an der Spitze ihrer Partei, der „Nationalen Liga für Demokratie", kennt die Details ihres Reiseprogramms, Ort und Zeit ihrer Auftritte. Und die Behörden wissen Bescheid: Aung San Suu Kyi hat sie informiert. Niemand zwingt sie dazu, aber das ist der neue Stil: keine Konfrontation mehr, keinen Anlass bieten für Gewalt, für Eskalation. Spontan strömen ihre Anhänger herbei, Mundpropaganda eilt durch die Stadt - wo ihr weißer Toyota auftaucht, wird der Wagen eingekeilt, manchmal kommt sie eine dreiviertel Stunde nicht vom Fleck.

Chaotische Szenen. Polizei oder Armee sind nicht zu sehen, aber jeder Burmese weiß: Die enthusiastische Menge besteht zu einem gewissen Prozentsatz aus Spitzeln in Zivil. Und das Chaos ist doppelgesichtig, wie fast alles in diesem Land, zeugt von organisatorischem Dilettantismus der Oppositionspartei - und ist zugleich auch Taktik: So entsteht ein Triumph, für den Aung San Suu Kyi offiziell nicht verantwortlich ist. Sie ruft zu keiner Kundgebung, sie tut nur kleine, bescheidene Dinge. Besucht das neue Bezirksbüro ihrer Partei in dieser Seitenstraße von Mandalay. Zündet eine Kerze an in einem Tempel. Erweist einem bekannten Abt ihren Respekt.

Vor der großen Mahamuni-Pagode steht eine Wand von Menschen. Im Inneren des Tempels kaum ein Fußbreit Platz. Und niemand sagt ein Wort, ein großes schweigendes Warten. Augen richten sich fragend auf die fremde Reporterin: Ob sie es weiß? Schließlich schiebt sich ein Burmese heran und flüstert fast unhörbar: „This is welcome for Aung San Suu Kyi. She is our national leader."

Hoffnung auf Zehenspitzen, das ist Burma in diesen Tagen.

Plötzlich Rufe, als sei der Bann gebrochen. Langes Leben!! Sie schont sich nicht, sie nimmt nicht den kurzen Seitenweg in den Tempel, sie lässt sich bugsieren durch den vollgestopften langen halbdunklen Pilgerkorridor, durch die wogende Masse, jeder will sie sehen, will ihr nahe sein, „Aung San Suu Kyi-i-i!", Menschen werden an Pfeiler gequetscht, lebensgefährlich ist die Enge, der düstere Tempel dröhnt wie von religiöser Ekstase - und sie, sie will bloß eine Kerze anzünden da vorne, vor dem Mahamuni-Buddha.

Das riesige Bronzebildnis ist ein Objekt besonderer Verehrung, doch dürfen nur Männer die Stufen hochsteigen, um ein winziges Stückchen Blattgold auf Buddhas Beine zu kleben, die schon dick sind von vielen tausend Goldblättchen. Aung San Suu Kyi kniet bescheiden in jenem abgesperrten Viereck, das den Frauen zugewiesen ist, während hinter ihr die Menge ächzt, um einen Blick auf die Kniende zu erhaschen. Eine schillernde Szene von Demut und Macht. Hier kniet eine Ikone anderer Art, unsichtbar vergoldet durch Mythen und Fakten, durch eigenen Mut und fremde Sehnsucht, durch Verdienst und Zuschreibung.

Die Geschichte von Aung San Suu Kyi wirkt wie ein grimmiges Märchen: Die Furchtlose mit der Blume im Haar gegen die finsteren Generäle. Dreier Jahre bedurfte es nur, um eine der Welt unbekannte burmesische Politologin aus ihrem stillen Haus in Oxford auf den Olymp berühmter Freiheitskämpfer zu katapultieren. An einem Märzabend 1988 klingelt das Telefon in Oxford, ihre Mutter in Burma hat einen Schlaganfall, Aung San Suu Kyi packt sofort. Sie ahnt nicht, dass in diesem Moment ihr beschütztes, bürgerliches Leben unwiderruflich zu Ende ist, das Leben mit ihrem britischen Mann Michael Aris, mit den zwei Söhnen. 42 ist sie jetzt, sie wird das mit Büchern angefüllte Akademikerheim nie wiedersehen.

Die Zeit rast: Pflege der Mutter in Yangon, dort bricht ein demokratischer Aufstand aus, sie wird an die Spitze der Bewegung gespült. Erster Hausarrest 1989. Tausende Studenten und Aktivisten werden verhaftet. Mai 1990: Ihre Partei erringt in freier Wahl Dreiviertel der Sitze; das Militär annulliert das Ergebnis. Die Generäle stellen sie vor die Alternative: Als sogenannte Hochverräterin im Hausarrest - oder Exil. Sie bleibt: „Ich werde Burma niemals verlassen." 1991 bekommt sie den Friedensnobelpreis.

Und nun gefriert die Zeit. Zermürbungskrieg, Stillstand. Das grimmige Märchen dehnt sich entsetzlich.

Der Vater. Ohne ihn ist das Phänomen Aung San Suu Kyi nicht zu verstehen. Aung San ist Burmas Nationalheld, er gründete die Armee, führte den Unabhängigkeitskampf an, handelte 1947 die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht aus. Kurz darauf wird der 32jährige ermordet von einem Rivalen, erschossen zusammen mit sechs Ministern des provisorischen ersten Kabinetts. Ein blutiger 19. Juli; das Datum wird seitdem als Burmas „Märtyrertag" begangen.

Suu Kyi ist erst zwei Jahre alt, als der Vater stirbt. Sie wächst auf mit den Erzählungen über den Berühmten, identifiziert sich von klein auf mit ihm, nimmt seinen Namen an, entgegen burmesischer Sitte. Später liest sie alles über ihn, sammelt alles, sie wird sogar Japanisch lernen, um die Fußspuren des Vaters im Zweiten Weltkrieg zu erforschen, schreibt seine Biographie. Noch später, als sie bereits in Hausarrest sitzt, notiert ihr Ehemann in Oxford: „Manche würden sagen, sie war besessen vom Bild des Vaters, den sie nie gekannt hat."

Aber vor jenem schicksalhaften Märzabend 1988 ist dies eine gleichsam private Angelegenheit, eine Vater-Tochter-Psychologie noch ohne politische Dynamik. Über Jahrzehnte laufen zwei Bilder parallel, das Bild vom Vaterland und das Bild vom Tochterleben. Das erste Bild zeigt ein krankes Burma: Gefährlich schwach sind die demokratischen Regierungen in den Jahren nach Aung San´s Tod. Burma ist ein Vielvölkerstaat, als Nation von je her zerrissen, große ethnische Minderheiten kämpfen bewaffnet um Autonomie. 1962 putscht sich die Armee an die Macht, die Generäle erklären sich zum Garanten  nationaler Einheit, und sie lassen die Macht nicht mehr los.

Im parallelen Bild ein Mädchen, eine junge Frau, die alles hat, alles bekommt, was eine Frau sich nur wünschen kann: Intelligenz und Schönheit, Selbstbewusstsein, Oberklasse-Erziehung, Weltläufigkeit. Als in Yangon 1962 die Generäle putschen, reitet Suu Kyi in Neu-Delhi mit den Söhnen Indira Gandhis. Die Mutter, Aung San´s Witwe, ist Burmas Botschafterin in Indien. Suu Kyi ist schon als Teenager, so schildert eine Zeitzeugin, von „einer fast furchteinflössenden Entschlossenheit", eine „bestimmende Persönlichkeit" mit ehernen moralischen Grundsätzen. Die Familie lebt in luxuriösem nachkolonialem Ambiente; dass die begabte Tochter zum Studium nach Oxford geht, versteht sich von selbst.

Suu Kyi ist hinreißend schön; jeder sucht ihre Nähe. Aber sie lässt sich nie gehen; im Klima beginnender sexueller Libertinage wirkt sie auf die Kommilitonen wie eine „orientalische Traditionalistin". Nach dem Studium arbeitet sie drei Jahre bei den Vereinten Nationen in New York, eine diplomatische Karriere stünde ihr offen; sie verzichtet zugunsten der Ehe. Mit ihrem Mann Michael Aris, einem Tibetologen, lebt sie ein Jahr im Himalaya-Königreich Bhutan, aber nie ist die Hochtalentierte und Vielsprachige nur Ehefrau: In Bhutan wird sie Beraterin des Außenministers.

16 Jahre wird es noch dauern, bis die parallelen Bilder zusammenfallen, Vaterland und Tochterleben. Sie kennt Burma nur durch Besuche, verbindet in Oxford mit der ihr eigenen Disziplin Familienpflichten und akademischen Ehrgeiz. Ein hinreichend erfolgreiches Frauenleben - aber zu klein für den großen Schatten des Vaters.

Burma, der Aufstand. Die Bewegung ist führerlos, die Demonstranten tragen das Bild des Vaters, Aung San mit Generalsmütze in vergilbtem Schwarz-Weiß, der letzte gute Führer, unbefleckt aufgrund seines frühen Todes und längst mythisch verklärt. Binnen Wochen werden die Demonstranten das Bild der Tochter tragen. Zufall und Zeitumstände wirbeln Suu Kyi hinein in ihr zweites Leben, die Mutter stirbt, riesig ist der Beerdigungszug für Aung San`s Witwe, ein Fanal. Suu Kyi nimmt ihre neue Rolle an wie eine unabweisbare Erbschaft - und sie zieht mit intuitiver Entschlossenheit ihre einzige Waffe: „Ihr zerstört alles, wofür mein Vater gestanden hat", ruft sie den Generälen zu. Vor einer halben Million Menschen erklärt sie pathetisch: „Dies ist der zweite Kampf um Unabhängigkeit."

All ihren Anhängern fällt nun auf, wie sehr sie dem Vater gleiche: die klar geschnittenen Gesichtszüge, der eindringliche Blick, die beherrschende Präsenz. Es ist ein speziell asiatisches Phänomen, dass den  Töchtern mythisch verklärter Väter die Liebe der Massen zufliegt; so kam Indonesiens Präsidentin Megawati ins Amt, die Tochter des ersten Präsidenten Sukarno. Aung San Suu Kyi hat diesen politischen Inkarnationseffekt nie abgestritten: „Es besteht kein Zweifel, dass ich als Führer der Bewegung anerkannt wurde, weil ich meines Vaters Tochter war. Ich habe nie von mir angenommen, dass ich mich beweisen müsste."

Aber bald machen sie auch eigene Taten zur Legende. Als ihre jugendlichen Begleiter verhaftet werden, tritt sie in Hungerstreik. Als die Militärs ihrem Tross mit schussbereitem Gewehr die Straße versperren, sagt sie: „Ich geh` allein weiter." Die Soldaten schießen nicht, Aung San`s Tochter ist unerschießbar.

Sie bringt Opfer. Den jüngeren Sohn Kim ließ sie als 11jährigen zurück; als sie ihn endlich wiedersehen kann, sagt sie: „Auf der Straße hätte ich ihn nicht erkannt." Beiden Söhnen entzieht das Regime die burmesische Staatsangehörigkeit. 1999 verweigern die Militärs ihrem Mann, dem Krebstod nahe, die Einreise: Seine Krankheit würde das burmesische Gesundheitswesen zu sehr belasten. Sie beantwortet den Zynismus mit eiserner Härte: Sie besucht den Sterbenden nicht. Weil sie befürchtet, die Militärs würden sie nicht nach Burma zurückkehren lassen.

Seltsam: Je länger der Zermürbungskrieg dauert, desto mehr erstarrt das Bild dieser Frau zur Ikone. Sie wird dazu gemacht, aber sie will es auch so. Kaum erlaubt sie Einblicke in Persönliches, Menschliches; ihre Beschreibung der Jahre im Hausarrest atmet nur klösterliche Strenge: Strikte tägliche Routine, „um sinnlose Zeitverschwendung zu vermeiden". Aufstehen um halb 5, eine Stunde Meditation, 20 Rundgänge ums Haus, mit kleinen Steinchen abgezählt. Lesen, Schreiben, Klavierspielen.

Ihre zweistöckige Villa am Inya-See in Yangon ist das mütterliche Haus. Ein grünes Prominentenviertel; am anderen Seeufer lebt der greise Putschisten-General Ne Win, Jahrzehnte lang Burmas starker Mann. Suu Kyi, die als Baby von diesen Generälen auf den Armen geschaukelt wurde, bleibt auch im Arrest eine Angehörige der Oberschicht, verleumdet, totgeschwiegen, aber nie völlig isoliert: Auf dem Grundstück leben junge Parteifreunde als eine Art Leibwache; gelegentlich können Diplomaten kommen, ein Arzt sowie Vertreter der Parteispitze haben Zutritt.

Was kann sie bewirken? Was gibt diesem stoischen Ausharren Sinn? Längst schon ist sie nicht mehr die Anführerin einer aktiven demokratischen Bewegung; die Massenbewegung ist zerfallen, die Partei, einst zwei Millionen Mitglieder stark, durch Verfolgung zerrüttet. Und die Jungen kennen den Aufstand von 1988 nur als Erzählung. Aung San Suu Kyi ist zur Statthalterin geworden, ein Symbol für Demokratie, ein funkelnder Solitär. Die Mehrzahl der 50 Millionen Burmesen hängt an ihr mit einer so gläubigen,  passiven Hoffnung, als sei sie eine gute Königin, gefangen im heimischen Exil.

In Burmas Geschichte haben seine Könige der Welt meist die kalte Schulter gezeigt, die Selbst-Isolation dieses Landes begann nicht erst mit den Militärs. Die heutigen Obristen sind vor allem nationalistisch, fürchten nichts so wie fremden Einfluss. Die Abschottung hat wirtschaftliche Entwicklung blockiert, aber auch einen kulturellen Ausverkauf verhindert. Burma zeigt sich auch im 21. Jahrhundert in einer Silhouette traditionellen Asiens: Die schmalhüftigen Gestalten der Männer im Lungyi, einem knöchellangen Tuch aus dunkelkarierter Baumwolle.

Suu Kyi, die Akademikerin mit Oxfordschliff, konnte in dieser konservativen Kultur nur eine Volks-Ikone werden, weil ihre Erscheinung trotz aller Auslandsjahre so typisch burmesisch ist: die Grazie, die leichte Neigung des Körpers vor Älteren, vor Mönchen; der enggeschnürte Wickelrock und stets das züchtige Oberteil. Aber sie kämpfte auf eher westliche Art: Niemand griff die Generäle so direkt an wie sie. Kompromisslos verlangte sie Sanktionen und Boykott gegen ihr Land, stimmte ihre Aktionen auf die Termine internationaler Sitzungen ab und suchte die Konfrontation am eigenen Fall. Um das Reiseverbot demonstrativ zu durchbrechen, campierte sie einmal neun Tage und Nächte lang in ihrem Toyota am Straßenrand; die Soldaten hatten die Luft aus den Reifen gelassen.

So kreuzen sich Ost und West in dieser Heldin. Dass der Westen sie stützte, hat die Generäle noch störrischer gemacht. Wo der Westen Sanktionen verhing, sprangen Singapur und China ein. Und die Leerstelle der zerfallenen Bewegung füllt Burmas feudalistische Tradition. Personenkult rankt sich um die Oppositionsführerin; die ärmlich möblierten Parteibüros wirken wie schummrige Filmkulissen der 50er Jahre. Riesige Ölgemälde im Stil sozialistischer Glorienmalerei bedecken die Wände: Suu Kyi mit Mikrofon, Suu Kyi mit Bauernhut, Suu Kyi als Landkarte Burmas. Im Versammlungsraum in Yangon, zugleich ihr Büro, steht sie gar als vergoldete Büste und blickt auf die Tischrunde wie eine verstorbene Ahnherrin.

Im Gespräch wirkt sie kühl, fast herrisch. Keine Frage gefällt ihr, sie antwortet knapp und kategorisch, doziert. Niemand wage, sie zu kritisieren, sagen burmesische Beobachter, die durchaus auf Seiten der Opposition stehen. Sie nennen die „Liga für Demokratie" hinter vorgehaltener Hand „eine kleine Diktatur". Neben der Berühmten wirken alle blass. Der Führungszirkel besteht überwiegend aus alten Männern, meist ehemalige Soldaten; es sind verdiente Veteranen, die im Gefängnis litten, doch sie könnten das Land heute kaum regieren. Denn Militärherrschaft heißt: Jeder wichtige Posten bis hinunter in die örtliche Verwaltung ist von einem Soldaten besetzt.

Burma 2003: Die Nachtclubs von Yangon sind voll, während die Armen unter den Preissteigerungen ächzen; ein Rikscha-Reifen kostet jetzt viermal mehr als im Vorjahr. Aids greift um sich. Die meisten jungen Leute sind unpolitisch oder jedenfalls politisch abstinent.

Vor dieser Kulisse beginnt nun vielleicht das dritte Leben der Aung San Suu Kyi. Ein Leben als Politikerin, im Tiefland der Kompromisse. Viele Monate lang hatte sie unter strikter Geheimhaltung mit den Generälen verhandelt. Der sogenannte Dialog, den es offiziell gar nicht gab, brachte erstmals Bewegung in die erstarrte Szene. Das Regime entließ hunderte politische Häftlinge, die Luft roch nach Tauwetter. Doch dann: Suu Kyi erneut verhaftet. Der Westen protestiert routiniert - und folgenlos. Erst als Burmas südostasiatische Nachbarn die Generäle kritisieren, wird Suu Kyi entlassen. Vielleicht wird jetzt nach asiatischen Regeln gespielt, in diesem unendlich langen zähen Ringen. „Wir brauchen Geduld", sagt ein Veteran der Oppositionspartei, „Westler verstehen nicht, was Geduld ist".

Yangon ist in grauen Monsunregen gehüllt. Die Zufahrt zu Aung San Suu Kyis Haus an der University-Avenue ist immer noch gesperrt. Sie hat der Sperrung zugestimmt. Früher hielt sie Reden über`s Gartentor, tausende kamen. Jetzt respektiert sie, dass die Generäle nichts so sehr fürchten wie „die Straße", das Unkalkulierbare. An der Kreuzung steht eine große rote Mahntafel mit Orwell`schen Geboten: „Zerschmettert die inneren und äußeren destruktiven Elemente!" Yangons Taxifahrer haben Angst, sie brausen über die Kreuzung weg, überall Spitzel, bloß hier nicht halten! Hoffnung geht in Burma auf Zehenspitzen, die Angst geht immer noch mit schwerem Schritt.